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Winterfeuer

March 28th, 2025

3/28/2025

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Der Abgrund

3/25/2025

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Während einer Zeit, in der es sich so anfühlte, als würde mir der Boden unter den Füßen sofort wieder weggezogen werden, sobald ich so etwas wie Sicherheit verspürte, reiste ich viel in die Anderswelt. Es war, als würde ich eines der großen Arkana im Tarot, den Turm, immer wieder durchleben.

Der Turm im Tarot hat viele Bedeutungen. Eine davon ist, dass einstürzen muss, was auf unsicherem Grund gebaut worden ist, damit aus den Erfahrungen, die man gesammelt hat, etwas entstehen kann, das so solide ist, dass die Grundfesten nicht mehr zum Einsturz gebracht werden können.

Meistens wanderte ich an einer Schlucht entlang, die in einen bodenlosen Abgrund führte, und fand mich immer wieder dabei, wie ich in die Schwärze hinabstarrte. Eines Tages war meine Verzweiflung so groß geworden, dass ich mich in den Abgrund stürzte.

Sofort ergriff mich einer meiner spirituellen Mentoren aus der Zeit von hinten, riss mich aus der Schlucht und warf mich gegen einen der umliegenden Felsen. Ketten wuchsen aus dem Felsen heraus und hielten mich fest. Mein Mentor setzte sich vor mich hin und sagte einfach: „Nein.“

​Ich starrte ihn an und erwiderte nichts. Nach einer Weile bemerkte ich, dass die Ketten lose waren und ich sie jederzeit einfach abstreifen konnte, wenn ich wollte. Tag und Nacht zogen vorbei, während mein Mentor und ich uns gegenübersaßen. Irgendwann streifte ich die Ketten ab, erhob mich, blickte meinen Lehrer noch einmal an und kehrte in das Hier und Jetzt zurück.
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"The Rose Blooming Again", schwarze Pastellkreide und goldener Buntstift, Kristin Raphaela Otti (2024, Café de L'Europe, Wien)
Als meine Welt wieder in ihren Grundfesten erschüttert worden war, eilte ich in der Anderswelt abermals auf den Abgrund zu. Mein Mentor erschien aus dem Nichts und stellte sich mir in den Weg. „Nein.“

Ich wich zurück und ließ mich gegen den Felsen sinken, an den ich auf meiner letzten Reise gebunden worden war. Mein Mentor nahm mir gegenüber Platz und blickte mich ruhig an. Meine Emotionen verwandelten sich in einen Gewittersturm und ich durchlebte meine Erinnerungen immer und immer wieder.

Dann beruhigte ich mich langsam und begriff, dass ich durch meine eigenen Gedanken gebunden gewesen war. In dem Augenblick, in dem ich das begriffen hatte, war ich frei. Ich konnte sie gehen lassen, wenn ich wollte und musste mich nicht an ihnen festkrallen.

Mein Lehrer, der ein Wesen aus der Anderswelt war und an dem Punkt meiner Zeit nicht auf unserer Ebene inkarniert gewesen war, nickte mir zu, erhob sich und wanderte davon.

Dann wurde ich abermals in meine Schatten geworfen und ein drittes Mal eilte ich auf den Abgrund zu. Dieses Mal war niemand dort, um mich aufzuhalten, und als ich mich hinunterstürzte, umfing mich absolute Finsternis.

Ich stürzte in meinen Schmerz und meine Erinnerungen verschlangen mich. Irgendwann schlug ich auf dem Grund des Abgrundes auf und blieb liegen. Ungefähr eine halbe Sekunde lang. Dann entfuhr mir ein „Das ist langweilig.“.

Das waren meine genauen Worte.

Das Wiederkäuen meiner eigenen Erinnerungen und der Schmerzen, die andere und ich mir selbst zugefügt hatten, hatte begonnen mich zu langweilen. Es führte zu nichts.

Ich stand auf und klopfte mir den Staub von der Kleidung. Es war stockfinster. Dann hörte ich in der Ferne jemanden weinen. 

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"White Rose", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Ich war verwirrt. „Wie könnte ich einfach fortgehen und so tun, als wäre ich taub, wenn ich den Ruf eines anderen Herzens höre, das Schmerz erdulden muss? Es spielt keine Rolle, in welchem Abgrund ich mich befinde, was ich selbst in diesem Augenblick durchlebe oder welche Dunkelheit mich umfangen und geblendet hat. Ich folge dem Ruf der Herzen um mich herum und tue, was ich tun kann, um ihnen dabei zu helfen, zu heilen.“

Anstatt mir einen Weg aus dem Abgrund zu suchen, folgte ich dem Weinen. ​

​Es fühlte sich so an, als würde unter jedem meiner Schritte etwas zerbrechen. Es knackte und knisterte. Ich schritt definitiv nicht über Gras.

Nach einer Weile sah ich in der Ferne ein schwaches Leuchten und hielt weiter darauf zu. Ich gelangte zu einem alten Mann, der nur noch trockene Haut und Knochen war. Er saß auf einem zerbrochenen Thron auf einem Hügel aus Totenschädeln und Knochen. Ich sah an mir herab. Ich war die ganze Zeit über verwitterte Knochen marschiert, die unter meinem Gewicht zerbrochen waren.

Der alte Mann sah müde und verbraucht aus. Die königliche Robe, die er einst getragen hatte, bestand nur noch aus zerrissenen Fetzen und seine Krone saß schief und verbogen auf seinem Haupt. Ich spürte in seine Energie hinein, hörte dem Gesang seines Herzens zu und sah ihn, wie er wirklich war.

Er war kein dunkles Wesen, das im Abgrund darauf wartete, andere zu verschlingen, die sich dorthin verirrt hatten. Er hatte seinem Volke unermüdlich gedient, obwohl ihm alles genommen und alles, was er aufgebaut hatte, von jenen, die mit Neid seinem Tun gefolgt waren, in Asche verwandelt worden war. Er hatte alles gegeben und nun saß er allein, verlassen und vergessen im Abgrund, in absoluter Finsternis. Und trotz allem ging von seinem Herzen immer noch ein schwacher Lichtschimmer aus.

Ich fragte: „Darf ich Euch heilen?“ Er sah mich an. „Warum?“ „Weil ich Euren Schmerz lindern und Euch beim Heilen helfen möchte.“

Er blickte mir lange in die Augen, dann nickte er langsam. Licht floss aus meinen Händen in seinen Körper und begann seine Knochen, sein Fleisch und sein Innerstes zu heilen. Das Licht begann sich zu verbreiten und wo es auf die verwitterten Knochen jener fiel, denen er einst gedient hatte, heilten auch sie.

​Die Finsternis wich dem Licht und der Abgrund war nicht länger ein Ort der Verzweiflung und der Furcht. Wir standen nicht länger auf zerbrochenen Knochen, sondern eine blühende Blumenwiese war aus ihnen erwachsen.

Der alte König sah sich um und fragte abermals: „Warum?“

Ich war verwirrt. „Wie könnte ich einfach fortgehen und so tun, als wäre ich taub, wenn ich den Ruf eines anderen Herzens höre, das Schmerz erdulden muss? Es spielt keine Rolle, in welchem Abgrund ich mich befinde, was ich selbst in diesem Augenblick durchlebe oder welche Dunkelheit mich umfangen und geblendet hat. Ich folge dem Ruf der Herzen um mich herum und tue, was ich tun kann, um ihnen dabei zu helfen, zu heilen.“


Ich nickte ihm zu und schickte mich an, zu gehen. Er erhob sich von seinem Thron und rief mich zurück. Er lächelte. Eine weiße Rose erschien in seinen Händen. „Das ist eine Gabe für dich.“ Er gab mir die Rose und sie begann in meinem Herzen Wurzeln zu schlagen.
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Alter Kauz und Grünschnabel

3/21/2025

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Als ich wieder einmal in die Native-American-Siedlung in der Anderswelt gerufen worden war, wo sich der Rat der Schamanen trifft, nahmen mich ein Schamane, den ich in dieser Lebenszeit kenne und sehr liebe, und der Älteste auf die Seite, um eine persönliche Angelegenheit zu besprechen.

Als der Witzbold, der ich bin, hatte ich nach der ersten Begegnung mit dem Ältesten vor langer Zeit, darüber nachgedacht, wie sehr ich mich als Grünschnabel – im Englischen „spring chicken“ - gefühlt hatte, und mein Kopf hatte ihn scherzhaft zum „alten Kauz“ gemacht - „old codger“ im Englischen -, als ich dann vor ein paar Tagen darüber geschrieben hatte.

Als wir unser Gespräch beendet hatten, sagte der Älteste feierlich: „Der Alte Kauz hat gesprochen.“

Ich erstarrte und sah ihn aus aufgerissenen Augen an. Ich wusste, dass meine Gedanken die meinen waren, aber ich sprach oft laut zum Großen Einen, wenn ich betete und über die Dinge sprach, die mich beschäftigten, die ich gelernt oder die mir auf Reisen über mich selbst gezeigt worden waren.

Hatte ich etwa laut darüber gesprochen, wie ich mich gefühlt hatte, nachdem ich ihm begegnet und seines Alters und seiner Erfahrung gewahr geworden war?


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"Old Codger and Spring Chicken", weiße Pastellkreide", Kristin Raphaela Otti (2023, eine Illustration für eine Geschichte)
Ich erstarrte und sah ihn aus aufgerissenen Augen an. Ich wusste, dass meine Gedanken die meinen waren, aber ich sprach oft laut zum Großen Einen, wenn ich betete und über die Dinge sprach, die mich beschäftigten.

​Ich wusste, dass ich lange über unser Treffen nachgedacht hatte und es im Kopf durchgegangen war. Ich hatte die beiden Ausdrücke benutzt, nicht negativ, sondern einfach, um meine Gedanken aufzulockern. Das war typisch ich. Aber typisch für mich war auch, dass ich mich danach sofort selbst scharf für meine Respektlosigkeit zurechtgewiesen und begonnen hatte, mir Gedanken und Sorgen darüber zu machen.

Der Älteste lächelte mich an und in ihm und seinem Herzen war nichts außer Liebe zu spüren. Er zwinkerte mir zu und sagte: „Es besteht kein Grund zur Sorge, Grünschnabel.“
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Das Geschenk der Feder

3/18/2025

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Eines der Instrumente, das ich während unserer Heilzeremonien spiele, ist die Native American Flute. Die Lieder, die ich spiele, sind niemals gleich. Ich spiele das Lied, dass ich im Herzen des Menschen vernehme, der mir gegenübersteht. Wenn die Heilzeremonie vorüber ist, bringt Schwester Wind das alte Lied zum Großen Einen und das Herz beginnt ein neues Lied anzustimmen und zu singen. Das alte darf mit Schwester Wind gehen und macht Platz für das neue. Ich erinnere mich nur dann an die Lieder, wenn es zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas zu sehen oder zu tun gibt.

Als ich noch in Wien lebte, spielte ich abends sehr oft Flöte. Eines Abends begann mein Herz mit der Melodie zu singen, die ich gerade spielte und ich wurde zu einer Reise in die Anderswelt gerufen. Sie begann mit einer Erinnerung an ein früheres Leben in Nordamerika. Dort hatte ich viele Leben verbracht. In dem Leben, das mir wieder ins Gedächtnis gerufen wurde, war ich Soldat und Kommandant eines Forts gewesen. Ich hatte mich davor bereits an Teile aus dieser Lebenszeit erinnert.

Ich gerade von einem Treffen mit anderen Kommandanten in mein Fort zurückgekehrt. Das Treffen hatte länger Zeit in Anspruch genommen, als geplant. Nach meiner Ankunft wurde ich darüber unterrichtet, dass eine Gruppe von Native Americans aufgegriffen und in Haft genommen worden war. Als ich nach dem Grund fragte, konnte mir der Soldat, der mir Bericht erstattete, keinen nennen.

Ich ging zu den Barracken, wo die Gefangenen untergebracht worden waren, um mir selbst ein Bild zu machen. Was ich sah, brachte mich zur Weißglut. Ich sah Stammesälteste und Kinder, sie hatten weder Wasser noch Nahrung erhalten und einige von ihnen waren krank.

Dann bemerkte ich ein junges Mädchen und als Begreifen darüber einsetzte, was die Männer ihm angetan hatten, kniete ich neben ihm nieder und gab ihm Heilung. Es war keine bewusste Handlung. In dem Leben hatte ich vergessen, dass ich Heiler war, da mir andere Aufgaben auf meinem Weg übertragen worden waren.

​Als ich aufsah, blickte ich direkt in die Augen eines alten Medizinmannes und Schamanen. Für mich fühlte es sich so an, als würde er mich kennen und erkennen, aber ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.

Ich stand auf und befahl meinen Männern eisig, für Nahrung, Wasser und Decken zu sorgen und auch den Arzt kommen zu lassen. Die Tore der Barracken hatten offenzubleiben, denn es stand den Menschen frei, zu gehen, wann auch immer sie zu gehen wünschten. Sie hatten sich nichts zuschulden kommen lassen.

Ich machte mich auf die Suche nach den Soldaten, die dafür verantwortlich gewesen waren. Meine Befehle waren klar gewesen und sie hatten den militärischen Verhaltenskodex gebrochen. Den Menschen, deren Heimat das Land war, in das wir gekommen waren, war mit Respekt zu begegnen. Wir waren Soldaten und hatten Befehlen zu folgen und Pflichten zu erfüllen, aber diese beinhalteten zu schützen und zu verteidigen, kein sinnloses Morden.

Die verantwortlichen Männer waren gerade dabei, lautstark Karten zu spielen und zu trinken. Ich ließ sie vor das Kriegsgericht stellen.
​
Freunde der Soldaten, die ich der Gerichtsbarkeit zugeführt hatte, brachten meine Lebenszeit einige Monate später zu einem vorzeitigen Ende.
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Die Aufnahme entstand während der Dreharbeiten zu "Winterfire - Everyone can do something". (c) 2023 Johannes Milchram
An das alles hatte ich mich bereits zu einem früheren Zeitpunkt erinnert. Ich war davon ausgegangen, dass die Freigelassenen in ihre Siedlungen zurückgekehrt und sicher gewesen waren. Dem war nicht so.

Auf ihrem Heimweg waren ihre Leben von einer anderen Gruppe von Soldaten genommen worden. Jetzt sah ich sie im Schnee liegen und begriff, was geschehen war. Trauer erfüllte mich und ich begann zu weinen.

Ich wurde der Seele eines kleinen Mädchens gewahr, die zwischen den schneebedeckten Körpern umherwanderte. Als es mich sah, kam es auf mich zu und sprach: „Ich kann meinen Weg nach Hause nicht finden!“ Ich frage es, ob es mir gestatten würde, ihm zu helfen. Es nickte und ich begann eine andere Melodie zu spielen.

​Plötzlich erhoben sich auch die anderen Seelen, die an diesem Punkt der Zeit gefangen gewesen waren. 

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"White Owl", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Er war der letzte aus dem Kreis. Ich hatte mich immer uralt gefühlt, aber als ich ihn betrachtete, kam ich mir wie eine neugeborene Seele vor. Er war alt. Älter, als jedes Wesen, das mir jemals begegnet war. Sein Gesicht war wettergegerbt und faltig und er strahlte nichts außer reine Liebe aus.

Ein Schamane erschien und zuerst dachte ich, dass er gekommen war, um das Mädchen nach Hause zu führen. Stattdessen kam er auf mich zu und legte mir die rechte Hand auf die linke Wange. Ich blinzelte meine Tränen fort und spielte weiter.
​

Mein Ruf galt den Geistführern und Schamanen der gefangenen Seelen. Nach und nach erschienen die Geistführer und Schamanen, grüßten ihre Brüder und Schwestern und begannen, die Seelen nach Hause zu führen und ins Licht zu begleiten.

Ich weinte stärker, aber hörte nicht auf, meine Flöte zu spielen. Der Schamane, der mir die Hand auf die Wange gelegt hatte, betrachtete mich ruhig. Dann, endlich, hatten alle Seelen ihren Weg nach Hause gefunden. Alle, bis auf eine. Das kleine Mädchen stand immer noch dort.


Ich war verwirrt und sah mich in der Nähe um, aber konnte keinen Geistführer sehen. Ich rief meinen Weiße-Eule-Aspekt und veränderte das Lied, das ich spielte. Mit meinen Eulenaugen sah ich in einem Wäldchen in der Ferne etwas schimmern.

Ich änderte die Melodie abermals und bat den Geistführer des kleinen Mädchens, zu ihm zu kommen. Er folgte meinem Ruf und ein wunderschöner Fuchs aus reinem Licht sprang auf die Kleine zu. Sie begann zu strahlen und sah mich an.

Ein schimmernder Kristall erschien in ihren Händen und sie bot ihn mir an. „Hier, der ist für dich! Jetzt kannst auch du deinen Weg nach Hause finden!“

Ich dankte ihr und nahm den Kristall aus ihren Händen entgegen. Ohne nachzudenken und ohne zu zögern machte ich mich größer und gab dem Kristall eine neue Heimat am Nachthimmel. „Das ist ein unglaublich wertvolles Geschenk, aber es ist nicht für mich allein. Das ist der Fuchsstern. Jetzt ist es jedem möglich, seinen Weg nach Hause zu finden.“

​Sie begann zu lächeln und fand ihren Weg nach Hause.
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"White Fox Stargazing", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2025, Hotel Hecher, Wolfsberg, Kärnten)
Die Welt um mich herum veränderte sich mit einem Male und ich fand mich in einer Native American Siedlung wieder. Dort war ich schon oft gewesen und kannte sie mittlerweile sehr gut. An diesem Ort versammelt sich der Rat der Schamanen. Die Schamanen, die sich dort treffen, versammeln sich in ihrer reinen Lichtform. Einige von ihnen kenne ich, manche sind inkarniert und erfüllen auf der materiellen Ebene ihre Aufgaben, andere beobachten, träumen und unterrichten in der Anderswelt.

Ich saß im Fersensitz in der Mitte ihres Ratskreises. Nicht, weil ich dazu aufgefordert worden war, sondern weil ich diese Sitzposition als angenehm empfand.

Die Schamanen lächelten mich an und einer nach dem anderen stand auf und kam auf mich zu. Sie blieben vor mir stehen, sahen mir in die Augen und gaben mir ihren Atem.

Dann erhob sich ein Schamane, den ich bei meinen Besuchen zuvor noch nicht gesehen hatte. Er war der letzte aus dem Kreis. Ich hatte mich immer uralt gefühlt, aber als ich ihn betrachtete, kam ich mir wie eine neugeborene Seele vor.

​Er war alt. Älter, als jedes Wesen, das mir jemals begegnet war. Sein Gesicht war wettergegerbt und faltig und er strahlte nichts außer reine Liebe aus. Er trug einen unglaublich schönen Federschmuck auf seinem Haupt.

Er lächelte mich an und löste eine Feder aus seinem Federschmuck. Er flocht sie in mein Haar ein. Dann legte er mir seine Hände auf die Wangen und sagte: „Du bist Schamane.“ Er küsste mich auf die Stirn und hauchte mir seinen Atem ein.
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Federn

3/14/2025

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Federn bergen viele Bedeutungen in sich. Federn zu finden, die für dich bestimmt sind, ist immer mit etwas Bedeutsamen verbunden. Als ich anfing, diesen Weg zu gehen, fand ich immer dann Federn, wenn ich etwas in meinem Lernen begriff oder begann, einen Teil meines Weges zu verstehen.

Ich lebte damals noch in Wien und Wien ist eine Stadt, die vielerlei Arten von Vögeln beheimatet. Große Krähen- und Rabenschwärme bewohnen die Dächer der Stadt und natürlich findet man überall Tauben. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass überall auch Federn zu finden sind.

Wenn ich aber eine Feder sah, wusste ich, ob sie tatsächlich für mich bestimmt war oder nicht. Zumeist waren es meine Krähenfreunde, die mir ihre Federn geschenkt haben. Abhängig davon, was ich gerade gelernt oder begriffen hatte, fand ich unterschiedliche Arten von Federn: Schwungfedern, Steuerfedern und Deckfedern, manchmal aber auch Daunenfedern oder Halbdunen.

Ich liebte es und eines Wintertages erzählte ich einem Arbeitskollegen davon, da er sich für just diese Dinge interessierte und selbst Tarotkarten legte. Er sah mich nur an und sagte: „Das ist Wien. Da findest du doch überall Federn. Das ist reiner Zufall.“ Ich erwiderte seinen Blick und entgegnete: „Nein, es gibt immer einen Grund, warum ich Federn finde. Ich weiß das einfach.“ Er schüttelte nur seinen Kopf.

Damals habe ich noch Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und an dem Tag erkrankte eine Kollegin. Ich wurde gebeten, ihre Stunde zu übernehmen und ihre Klasse zu unterrichten. Ihr Klassenraum war in einem Teil des Gebäudes, den ich nur dann aufsuchte, wenn ich darum gebeten worden war, einen Kollegen zu vertreten. Ich war vorher noch nie in ihrem Klassenzimmer gewesen.

Auf meinem Weg zur Klasse dachte ich über die Worte meines Arbeitskollegen nach und kam zu dem Schluss, dass sie keine Rolle spielten. Wenn ich fühlte, dass das Finden von Federn mit meinem Lernen zu tun hatte, so war es einfach so.
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"White Feather", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Wenn etwas für dich bestimmt ist, findet es dich.

Ich betrat die Klasse, begrüßte meine Schüler, legte meine Bücher und Stifte auf den Lehrertisch und schob den Sessel zur Seite. Ich ziehe es vor, im Stehen zu unterrichten, da das Erklären von neuen Vokabeln und Phrasen bei mir in lustige schauspielerische Darstellungen und Geschichtenerzählen ausartet.
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Ich liebe es, lebendige Geschichten zu erzählen und über die Jahre habe ich gelernt, dass eine Geschichte, die voller Leben ist, eine Geschichte ist, die sich Menschen gerne anhören. An diese Erzählungen erinnern sie sich am besten.

Als ich wieder an meinen Tisch herantrat, fiel mein Blick auf die winzigste Feder, die ich jemals gesehen hatte. Sie lag einfach unter dem Lehrertisch. Ich starrte sie an und begann zu lächeln.

Es war Winter und ein jeder trug daunengefüllte Jacken. Da wohl kaum Vögel durch das Schulgebäude geflogen waren, war das wohl die augenscheinlichste Erklärung dafür, wie die Feder unter den Tisch hatte geraten können.

Zumindest erklärte mein Kollege mir das so, als ich die Feder auf meinen Tisch im Büro legte und sie ihm zeigte. Ich sagte nichts darauf, sondern lächelte einfach weiter.


Ich habe die Feder immer noch.
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Wenn etwas für dich bestimmt ist, findet es dich.
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Ein Geschenk

3/11/2025

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Vor ein paar Jahren, als ich dabei war, lange Monate darum zu kämpfen, gesund zu werden, machte ich eine Reise hinter die Schleier in die Anderswelt. Es passierte einfach. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, ich hatte nicht geplant, mich auf eine Reise zu begeben. Ich wurde gerufen und folgte dem Ruf.

Ich fand mich an einer Weggabelung wieder, von der zwei Wege wegführten. Der rechte war ein ausgetretener, schlammiger Trampelpfad, auf dem Millionen von Menschen ihre Fußspuren hinterlassen hatten. In der Ferne konnte ich die untergehende Sonne sehen. Es gab keine Berge, nichts. Der Weg führte durch eine flache Einöde. Ich schüttelte den Kopf. Diesem Weg folgen? Einem Weg, den Millionen vor mir gegangen waren? Nein. Ich empfand nicht das geringste Interesse, das zu tun.

​Ich vernahm den Schrei eines Adlers und betrachtete den linken Pfad. Lauter scharfkantige Steine. Der Adler schrie abermals. Eine Herausforderung. Ich stand eine Weile da und versuchte zu verstehen, worin die Herausforderung bestand. Da kam mir ein Gedanke: „Ich bin barfuß, oder?“ Ich schaute an mir herab. Tatsächlich. Ich war barfuß unterwegs. Ich fing an zu lachen und tat den ersten Schritt.
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"White Eagle", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Kaum hatte ich den ersten Schritt getan, so fand ich mich im Hochgebirge wieder. Tief atmete ich die klare Luft ein und mein Herz erinnerte sich an die Tage, die ich als Kind in den Bergen verbracht hatte. Ich liebte die Berge. In der Ferne sah ich den Adler fliegen und hörte ihn abermals nach mir rufen. Ich wanderte an vereinzelten Bäumen vorbei, kletterte über hohe Felsen und genoss den Augenblick.

Plötzlich war der Adler verschwunden und ich befand mich nicht länger im Gebirge, sondern spazierte durch einen dichten Nadelwald. Ich war nicht alleine. Neben mir schlenderte ein unglaublich schöner, eisgrauer Wolf. Wir blickten einander an. Wir verstanden einander, ohne Worte wechseln zu müssen. Der Weg, auf dem wir entlangschritten, war mit den weichen Nadeln der Bäume bedeckt, die stolz den Waldpfad säumten.
​
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"Gentle White Wolf", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2024, während einer Zugreise, Österreich)
Dann war mein Weggefährte plötzlich verschwunden. Der Wald um mich herum war verstummt. Die Vögel hatten aufgehört zu singen und sogar die Bäume schienen ihren Atem anzuhalten.

​Ich ging weiter, bis ich einen Wall aus Dunkelheit erreicht hatte. Etwas begann sich aus der Finsternis herauszuschälen und auf mich zuzukommen.

​Grüne Augen starrten in die meinen. 

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"White Jaguar Emerging", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2024)
Ich wich nicht zurück, sondern erwiderte den Blick ruhig. Ein Jaguar trat aus der Schwärze hervor. Ich betrachtete ihn und begriff, dass ich in meine eigenen Augen geblickt hatte. Ebenso wusste ich mit absoluter Sicherheit, dass mir nichts passieren konnte. Der Jaguar sah mich an und sprach: „Folge mir, jemand wartet auf dich.“ Ich folgte ihm bis an den Rand einer Lichtung. Dort hatte jemand ein Feuer entzündet. Der Jaguar sagte: „Nimm Platz. Er wird sich gleich zu dir setzen.“

Ich ließ mich am Feuer nieder. Plötzlich erklang eine Stimme: „Was forderst du?“ „Fordern? Zu fordern steht mir nicht zu. Wenn überhaupt, dann darf ich um etwas bitten!“ Ich fühlte Zorn. Ich wusste nicht, warum ich wütend geworden war. Fordern? Absolut nicht. Um etwas bitten? Ja. Aber fordern? An keinem Punkt der Zeit.

​Die Stimme sprach: „Worum möchtest du bitten?“ „Ich möchte heilen.“ „Gibt es noch etwas, um das du bitten möchtest?“ „Ich möchte lernen.“ Und weil ich ich bin, hatte ich dem noch etwas hinzuzufügen. „Aber bitte mach es mir nicht einfach!“
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"White Snake", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Da erklang das liebevollste, sanfteste Lachen, das ich jemals vernommen hatte. „Typisch du! Das ist typisch du.“ In diesem Augenblick begriff ich, dass ich die Stimme kannte, schon tausendmal mit ihr gesprochen und tausendmal hier auf dieser Lichtung bei diesem Feuer gesessen war. „Gibt es noch etwas, um das du bitten möchtest?“

Traurigkeit erfüllte mein Herz. Ich hatte diese Art von Traurigkeit mein ganzes Leben mit mir getragen. Ich starrte in die Flammen. „Ich möchte nicht mehr alleine sein.“ „Dreh dich um, da wartet jemand auf dich.“ Ich fühlte, wie sich mir jemand näherte. Furcht ergriff mich, aber es war keine Angst vor demjenigen, der hinter mir aufgetaucht war. Die Furcht galt etwas anderem. Es dauerte lange, bis ich mich endlich umwandte.

Vor mir ruhte eine smaragd-purpurfarbene Schlange auf dem weichen Waldboden. Es war die schönste Schlange, die ich jemals gesehen hatte. Sie begann langsam auf mich zuzukriechen, wand sich sanft meinen rechten Arm entlang und zog in mein Herz ein. Die Stimme sprach: „Du bist niemals allein. Du hast dich.“ Ich begann zu weinen, weil ich eine Art von Liebe fühlte, die ich zuvor nicht gekannt hatte.

​Dann fand ich mich in meinem Wohnzimmer wieder. Mein Gesicht war tränenüberströmt. Ich hatte auch im Hier und Jetzt geweint. Jahrelang hatte ich keine einzige Träne vergossen. Die Reise zurück zu mir selbst hatte begonnen.
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Berge

3/7/2025

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Vor etwa zwei Jahren schenkte mir ein lieber Freund eine wunderschöne, violette Blume, während wir gemeinsam durch die Anderswelt reisten. Die Blume war ein Geschenk von Herzen, ich spürte ihre Wärme und das Geschenk berührte mich zutiefst. Ich hatte mich seit einer Weile einsam und verlassen gefühlt und obwohl ich wusste, wie wichtig es war, innezuhalten und in mich zu gehen, die Stille sprechen zu lassen, hatte sich ein Teil von mir wie ein eingepferchtes Pferd gefühlt, das nahe daran war, durchzugehen. Meine Gedanken und Gefühle waren außer Kontrolle, Erinnerungen an alte Verletzungen und alte Energien schlichen sich in das Hier und Jetzt. 
 
Ein paar Tage, nachdem ich dieses wunderbare Geschenk erhalten hatte, begab ich mich abermals auf eine Reise in die Anderswelt. Ich liebe den Hohen Norden, das große Eis und die Kälte. Durch Eis und Schnee zu stapfen empfinde ich als heilsam und so wanderte ich durch die vereiste Tundra, bis mein Kopf leer von allen Gedanken war und ich komplett erschöpft war. Auch nur noch einen Schritt zu machen, erschien mir unmöglich und ich sank auf die Knie. Ich fühlte, wie mein Körper zu frieren begann und sich in Eis zu verwandeln schien. Es erschien mir seltsam, denn normalerweise machte mir Kälte nicht das Geringste aus. Im Gegenteil, Wanderungen durch die kalten Regionen der Anderswelt füllten normalerweise meine Energie wieder auf. Dann begriff ich, warum ich mich auf die Wanderschaft begeben hatte. Ich war losgelaufen, um mich zu verlieren. Das war eine sehr alte meiner Energien, eine alte Denkweise.

Nachdem ich eine Weile im Schnee gekniet war, sah ich auf. Wo vorher nur eine Wüste aus Eis und Schnee gewesen war, hatte sich wie aus dem Nichts ein Berg erhoben, der vollständig mit Eis überzogen war. Es gab keinen Pfad, der nach oben führte. Ich würde klettern müssen, sofern ich die Herausforderung annehmen wollte. Und das barfuß und ohne Handschuhe, denn ich trug keine.

​Dann spürte ich etwas Bekanntes und blickte mich um. Mein Freund war da. Er betrachtete mich stumm. Ich wandte meinen Blick wieder dem Berg zu. Ein Gedanke erschien mir: Ich war zu Eis geworden, in mir war keine Wärme mehr. Ich erhob mich mühsam und berührte das Eis. Meine Hand und das Eis verschmolzen zu einer Einheit. So könnte es gehen. Ohne weiter darüber nachzudenken begann ich den Berg hochzuklettern und nahm die Herausforderung an. Einfach im Schnee einzuschlafen war vergessen.

Meine Hände und Füße wurden eins mit dem Eis, wenn es notwendig war, und lösten sich von ihm, um weiterzuklettern. Während ich den Berg erklomm, spürte ich, wie sehr ich mich selbst geschwächt hatte, weil ich meine Gefühle und Gedanken aus dem Gleichgewicht geraten hatte lassen und alte Energien wieder in mein Leben zurückgerufen hatte. Als ich dachte, dass ich nicht mehr weiterklettern konnte, erreichte ich einen Höhleneingang. Ich fühlte, dass jemand in der Höhle auf mich wartete und dass ich ein willkommener Gast wäre, dass ich dort Sicherheit und Gastfreundschaft finden würde, aber auch, dass ich die Höhle danach nicht mehr verlassen würde können. Ich sandte dem Bewohner der Höhle Licht und Segen, dankte ihm und setzte meinen Weg zum Gipfel fort. 
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"White Polar Bear", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Als ich den Gipfel erreicht hatte, fand ich mich auf einem schmalen Plateau wieder. Überrascht stellte ich fest, dass meine Haut eine bläuliche Färbung angenommen hatte. Ich entzündete auf dem Gipfel ein Feuer und nahm eine Weile daran Platz. Mein Freund hatte sich ebenso ans Feuer gesetzt und betrachtete mich. Er sprach kein Wort. Dann wurde ich eines zweiten Berges in der Ferne gewahr. Ich kletterte den Berg hinunter und erklomm den zweiten Gipfel, eins mit dem Eis. Als ich den zweiten Gipfel erreicht hatte, fühlte sich mein Herz nicht mehr eiskalt an. Ich entzündete ein zweites Feuer auf dem Gipfel und sah einen dritten Berg am Horizont. Mein Freund war immer noch an meiner Seite. Ich stellte mich dem dritten Berg, erreichte seinen Gipfel und entzündete ein weiteres Feuer. Dann sah ich einen vierten Berg und dahinter einen fünften. Ich bezwang sie beide. Als ich das fünfte Feuer entzündet hatte, wurde aus der Flamme, die in meinem Herzen entbrannt war, ein Feuer, das meinen ganzen Körper erfüllte. Aber das Eis, zu dem ich geworden war, schmolz nicht. Ich sah mich um und bemerkte, dass die fünf Berge einen Kreis ergaben, die Feuer auf den Gipfeln Leuchtfeuer, die Wärme und Schutz versprachen. Mein Freund war immer noch da und betrachtete mich geduldig. Ich kletterte den Berg hinunter. 

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"Anemone", Skizze (Buntstift), Kristin Raphaela Otti (2023)
Aufgeben war keine Option mehr. Allein der Gedanke daran erschien mir vollkommen fremd. Ich würde die Mitte des Bergkreises erreichen, koste es was es wolle. Ich wusste es mit absoluter Sicherheit. 

Als ich den Fuß des Berges erreichte, übermannte mich absolute Erschöpfung und ich sank in den Schnee.  ​

Ich hatte die Reise begonnen, um mich unterwegs zu verlieren, weil ich mich allein und verlassen gefühlt hatte, und jetzt bemerkte ich, dass das kein Teil mehr von mir war. Aufgeben war keine Option mehr. Allein der Gedanke daran erschien mir vollkommen fremd. Ich würde die Mitte des Bergkreises erreichen, koste es was es wolle. Ich wusste es mit absoluter Sicherheit. ​

Ich hatte keine Ahnung, warum ich dorthin sollte oder was dort auf mich wartete, aber ich würde mein Ziel erreichen. Dann bemerkte ich noch etwas anderes: Mein Körper war zu klarem Eis geworden und dort, wo mein Herz gewesen war, war Feuer. Ich begann in Richtung der Kreismitte zu kriechen. Meine Hände krallten sich in das Eis und zogen meinen Körper, der dahinschmolz, Stück für Stück vorwärts.
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Das Feuer, das eine kleine Flamme gewesen war, wurde zu einer lodernden Feuersbrunst, die nicht nur das Eis verzehrte, sondern auch etwas anderes, Dunkles ging in Flammen auf. Dunkle Aschefetzen, deren Ränder noch glühten, stoben davon. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Seiten eines Buches. In meinem Kopf war nur ein Gedanke: Ich musste die Mitte des Kreises erreichen und erfüllen, was auch immer ich dort zu erfüllen hatte.

​Als ich mein Ziel erreicht hatte, war von mir nicht mehr viel übrig. Ich nahm die Blume, die mir mein Freund geschenkt hatte, aus meinem Herzensfeuer, pflanzte sie in den eisigen Boden und bat sie, zu wachsen und zu gedeihen. Das Geschenk meines Freundes würde nicht mit mir vergehen, sondern Wurzeln schlagen und allen zur Gabe gereichen. Das Feuer verzehrte mein altes Selbst zur Gänze und etwas Dunkles mit ihm. Es ging schreiend in Flammen auf. Die Flammen beruhigten sich und ich fand mich ganz und unversehrt wieder.

​Ich sah meinen Freund an. Er war die ganze Zeit dagewesen, hatte mich niemals alleine gelassen, obwohl er meine Gefühle gespürt und einen Teil von mir gesehen hatte, den ich tief in meinen Schatten vergraben hatte, damit ihn ja niemand sehen konnte. Er hatte nicht eingegriffen, mich nicht die Berge hinauf- oder hinuntergetragen. Er hatte es besser gewusst. Er war da gewesen. Da, bei mir. Er war niemals fortgegangen. Er hatte mich niemals zurückgelassen. Er war einfach da gewesen. Mir fehlten die Worte.   
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"Ancestral Bears Resting", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2024, in einer Tankstelle, München)
Ein paar Tage nach meiner Reise bat mich meine Mutter, ob ich sie nach Klagenfurt begleiten würde, um gemeinsam mit ihr eine ihrer Freundinnen zu besuchen, die sich nach einer Operation im Krankenhaus erholte.

Nachdem wir eine Weile in der Sonne zusammengesessen und uns gut unterhalten hatten, begleiteten wir sie zurück zum Eingang des Krankenhauses. Dort sah ich dieselbe violette Blume, die mir mein Freund in der Anderswelt geschenkt hatte, in einem der Blumenarrengements. Da begriff ich, warum ich dort war.

​Nachdem ich mit der Freundin meiner Mutter eine kurze Heilzeremonie gehalten hatte, fragte ich meine Mutter nach dem Namen der Blume: Es war eine Anemone. 
 
Violette Anemonen sind ein unglaubliches Geschenk: Violette Blumen sind für gewöhnlich Gaben an jene, denen man Respekt aufgrund ihres Standes oder ihres Status‘ entgegenbringt.

​Nicht so bei violetten Anemonen. Sie haben eine ganz spezielle Bedeutung: Man schenkt sie jenen Menschen, die einen Platz im Herzen und in der Seele gefunden haben, aufgrund dessen, wer sie selbst in ihrem Herzen und ihrer Seele sind.  Man schenkt 
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Seite an Seite

3/4/2025

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Vor ein paar Jahren zu einer Zeit, als mein Lernen und Erfahren gerade sehr intensiv waren, wurde ich von einer meiner Großmütter in die Anderswelt gerufen.

Sie war während einer meiner Leben in Nordamerika meine Oma gewesen, und ebenso wie mein Großvater damals Medizinmann und Schamane gewesen war, Medizinfrau und Schamanin des Stammes. Mir war eine wundervolle, aber kurze Lebenszeit mit den beiden als Großeltern zum Geschenk gemacht worden.
 
Sie wartete geduldig bei einem Tipi auf mich, das nahe eines in der Sonne funkelnden und glitzernden Baches errichtet worden war. Wir spazierten los und sie führte mich zu einem Wall aus wabbernder Schwärze, der einer Wolke aus Dunkelheit glich, die sich immer wieder wie in einem Sturm veränderte.

Die Schwärze war lebendig, aber da waren keine Geräusche und ich konnte auch nichts in ihr spüren. Ich sah meine Großmutter an und sie beantwortete die unausgesprochene Frage. „Das ist der Ort, an dem Träume vergehen und sterben.“

​Da ich in meiner menschlichen Gestalt nichts spüren konnte, verwandelte ich mich in meine Weiße-Jaguar-Gestalt. Da war etwas. Ich konnte es nicht genau ausmachen und wusste in dem Augenblick auch nicht, was es genau war, aber ohne ein weiteres Wort oder zu zögern begab ich mich auf die Pirsch in die Dunkelheit.
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"White Jaguar", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Während der darauffolgenden Tage begegnete ich immer wieder Menschen, die sich von mir erwarteten, dass ich ihre Arbeit für sie tat und ihre Aufgaben erledigte. Ich liebe es, zu geben, und tue das aus dem Herzen heraus, und zu dem Zeitpunkt durfte ich lernen und erkennen, dass es Menschen gibt, die just das an mir versuchen auszunutzen und die nehmen, ohne zurückzugeben. Die grausamste Form der Manipulation ist, ein Herz in seinen Stärken zu manipulieren und zu beeinflussen zu versuchen. 
 
Und so geschah es, dass ein paar Tage, nachdem ich meine Großmutter in der Anderswelt getroffen hatte, eine mir unbekannte Frau in mein Energiefeld kam und sagte: „Da! Das ist eine Energie aus einem vergangenen Leben. Sie muss zurückgegeben werden.“

Als sie sich anschickte, ohne ein weiteres Wort wieder zu gehen, sagte ich: „Ich bin kein Lieferservice und das ist kein Postamt.“ Sie verhielt mitten im Schritt und starrte mich an. Ich sprach weiter: „Ich werde dich begleiten, dich führen, dich schützen und wenn es erforderlich ist, das Wort ergreifen, aber ich werde nicht für dich tun, was du selbst zu tun hast.“

Wir sahen uns eine Weile in die Augen, dann nickte sie und wir begaben uns auf eine Reise in die Anderswelt.

Ich geleitete sie zu dem Wall aus Dunkelheit, zu dem mich meine Großmutter ein paar Tage zuvor geführt hatte. Die Frau betrachtete die lebendige Schwärze aus aufgerissenen Augen und versuchte abermals, die alte Energie in meine Hände zu legen. „Bring sie zu dem, dem sie gehört. Auf Wiedersehen!“

Wieder versuchte sie davonzugehen.

​„Ich bin kein Pizzalieferservice. Ich werde dich führen, dich begleiten, dich schützen und wenn es so sein darf, sprechen. Aber deine Aufgabe werde ich nicht an deiner Statt erfüllen.“ Die Frau begann nervös auf ihrer Lippe zu kauen. „Was ist das hier? Warst du da schon einmal?“

Das war der Moment, an dem sich meine Begeisterung für das Lernen und Entdecken neuer Dinge zeigten und ich voller Enthusiasmus nach Jaguarmanier sagte: 
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"White Jaguar Emerging", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2024)
Ich liebe es, zu geben, und tue das aus dem Herzen heraus, und zu dem Zeitpunkt durfte ich lernen und erkennen, dass es Menschen gibt, die just das an mir versuchen auszunutzen und die nehmen, ohne zurückzugeben. Die grausamste Form der Manipulation ist, ein Herz in seinen Stärken zu manipulieren und zu beeinflussen zu versuchen. 

„Aber ja, meine Großmutter hat mir erklärt, dass das der Ort ist, an dem Träume sterben. Und ja, ich war schon einmal dort, weil ich etwas auf meinem Weg zu erfahren und lernen hatte.“
​
In Filmen kommt immer wieder eine Szene vor, wo der Held oder die Heldin irgendwann merkt, dass er oder sie es mit jemandem zu tun hat, der nicht nur ein bisschen verrückt, sondern den Vogel gänzlich abgeschossen zu haben scheint. Das dürfte so ein Augenblick gewesen sein.

Während ich die Frau weiterhin voller Begeisterung anlächelte, starrte sie mich einfach mit einem etwas angestrengt wirkenden Lächeln an. Dann nickte sie sehr langsam und wir schritten in die Dunkelheit. 

Wir taten, was zu tun war, und verließen das Land der vergehenden Träume vollkommen unbeschadet. Und eines möchte ich unbedingt hinzufügen: Die Angst der Dame war vollkommen unbegründet, denn so schnell, wie sie dann davoneilte, hätte sie nichts und niemand einholen und fangen können.

Während ich noch dort stand, ihr mit gerunzelter Stirn hinterherblickte und mich fragte, warum sie so schnell verschwunden war, kam eine andere Frau auf mich zu. Sie wirkte sehr scheu und sagte: „Da ist etwas, über das ich gerne mit dir sprechen würde. Etwas aus einem früheren Leben. Ich habe dich damals gekannt und da ist etwas… Nun…“

In der Ferne konnte ich einen jungen Mann sehen, der sehr nervös wirkte. Ich ließ mich nieder und bedeutete ihr, sich ebenfalls zu setzen. „Lass uns reden und zuhören und dann entscheiden, was zu tun ist.“ Sie starrte mich ungläubig an. „So einfach ist das?“ „Ja. Wenn es offene Herzen gibt, die gewillt sind in gleichem Maße zu sprechen und zuzuhören.“ 

Nachdem sie gegangen war, kam der junge Mann auf mich zu. Er wirkte noch nervöser als zuvor und spielte an seinem Hemd herum. Er war ein junger Schamane, der gerade seine erste Seele begleitet hatte. „Würdest du… würdest du mich unterrichten?“

Ich starrte ihn einfach nur an und fragte mich, wie er da ausgerechnet auf mich gekommen war. „Wärst du bereit, meine Lehrerin zu werden?“ Mich beschlich das Gefühl, dass er wusste, wer ich war, und das, während ich selbst noch keine Ahnung hatte.

Ich sprach: „Nur, wenn auch du mir ein Lehrer bist.“

„Was?“

​„Wir alle sind, ohne Ausnahme, immer gleichermaßen Lehrer und Schüler, Mentor und Schützling. Geben und nehmen, anbieten und empfangen. Wenn wir uns auf der physischen Ebene treffen, werden wir einen Kaffee trinken und darüber sprechen. Auf einer Ebene, keiner größer oder kleiner als der andere, genauso, wie es sein soll, sein darf und sein kann.“ Er begann zu lächeln. „Ja, sehr gerne!“
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Ein Samenkorn der Hoffnung und des Vertrauens

3/2/2025

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Gestern wurde ich auf eine unglaublich schöne Reise in die Anderswelt mitgenommen. Manchmal kommen Naturgeister vorbei, sagen „Hallo!“ und wir plaudern oder ich darf sie bei etwas begleiten und etwas über die wunderbaren Heilgaben um uns herum lernen. 
 
Um die Mittagszeit näherte sich mir einer der Naturgeister, die die Seen bewohnen, langsam und vorsichtig. Es war ein wunderschönes bläulich-weiß schimmerndes Pferd mit Seerosen in der Mähne. Es kam nicht alleine, sondern wurde von einer der Wettermähren, einem Donnerpferd, begleitet. Ich kannte die Wettermähre sehr gut, denn wir waren schon gemeinsam gereist. In der Seenmähre spürte ich die Energie und das Lied meines Heimattales. Sie wirkte verletzt, aber in ihr waren auch ein winziger Funken Hoffnung und ein Samenkorn, das sich nach Vertrauen anfühlte und darauf wartete, aufzusprießen.
 
Ich erlaubte ihr, tief in mein Herz zu schauen und mein Innerstes zu fühlen. Während ich geduldig darauf wartete, dass sie Schritt für Schritt weiter auf mich zu kam, fühlte ich, dass sie nicht alleine war, sondern etwas in sich nährte und neues Leben behütete. Sie trug ein Fohlen unter dem Herzen. Als sich unsere Herzen verbanden und gemeinsam ein Lied von Heilung und Liebe sangen, sah ich, dass ein anderes Wesen ohne Erlaubnis der Stute von ihrer Milch trank und an ihrer Lebensenergie und der des ungeborenen Fohlens zehrte. Als Licht das Herz der Seenmähre zu füllen begann, wurde das dunkle Wesen davongeschleudert und kam ein wenig abseits auf dem Rücken zu liegen. Sofort preschten andere Donnerpferde und Seenmähren herbei und wollten das Wesen angreifen. Ich bat sie zu warten, denn ich wollte zuerst mit dem Wesen sprechen und seine Geschichte hören. Als das Lied der Heilung gesungen war und die Heilzeremonie zu ihrem Ende kam, wandte ich mich dem dunklen Wesen zu. Die Seenmähre beobachtete uns vollkommen ruhig, als wir zu sprechen begannen. ​
​
​Das Wesen war einer der Berggeister, die tief in Mutter Erde wohnen, und nicht minder verletzt, als es der Geist der Seen gewesen war. Es erzählte mir, dass seine Familie am Verhungern und Dahinsiechen war, weil ihre Heimat nicht nur auf der materiellen, sondern auch hinter den Schleiern von Menschen geplündert und zerstört worden war. Ich spürte eine dunkle Energie an ihm haften, wie einen Fingerabdruck. Ich wusste, zu wem er gehörte. Ich segnete den Berggeist und überraschte ihn damit vollkommen. Dann bat ich den dunklen Rauch, davonzuziehen und in Liebe und Segen zu Allherz zu gehen und dort zu Heilung für Allschöpfung zu werden. Dann erschuf ich einen kleinen, irdenen Becher und füllte ihn mit den Energien der Wasser, Kristalle, Erze und Mineralien, die tief in Mutter Erde wohnen. Der Berggeist hatte Angst davor, von dem Becher zu trinken, denn er war schon oft betrogen worden, also nahm ich einen kleinen Schluck und er konnte sehen, wie mich die Energie heilte. Dann traten die Donnerpferde und Seenmähren nach und nach heran, tranken und heilten, während der Becher zu einer Tränke heranwuchs. Sie zeigten ihm, dass ihm der Trank nicht zu Schaden gereichen würde. Mir kam eine Idee. Ich erschuf eine Phiole und füllte etwas von der Energie hinein. Dann gab ich sie ihm. „Pflanze dieses Fläschchen in der Erde, als würdest du den Samen eines Heilkrauts pflanzen. Aus ihm wird eine Quelle erwachsen, die deine Familie nähren und die Wunden der Berge heilen wird.“

Während der Berggeist die Phiole vollkommen ungläubig betrachtete, erschien ein Wiesengeist und fragte mich nach einer meiner alten Verletzungen. Dann bot sie mir Heilung an und ich geriet in vollkommene Panik. Angst erfüllte mich und ich wich vor ihr zurück. 

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"White Horse", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
„Bitte nimm den Samen, den du mir zur Heilung schenken willst, und pflanze ihn in Mutter Erde ein. Er ist ein Geschenk für alle, jedes einzelne Wesen der Schöpfung, und nur, weil ich verletzt worden bin und Furcht empfinde, wenn mir jemand Liebe schenken möchte, soll er der Welt nicht vorenthalten werden. Nein, er soll wachsen, denn er ist ein Geschenk an die Welt." 

Alte Traumata griffen nach mir. Ich wollte sie nicht näherkommen lassen und auch den Samen nicht nehmen, den sie mir mit offenem Herzen anbot. Es brauchte eine Weile, bis ich mich beruhigte. 

​Während mein Körper immer noch fliehen wollte und in Alarmbereitschaft war, kam mir ein anderer Gedanke und ich begann, aus Energie etwas zu bauen, das dem Berggeist und den Seinen helfen würde. Nach und nach begannen die anderen Naturgeister mitzubauen und mitzuhelfen. Nach einer Weile bot mir der Wiesengeist abermals den Heilsamen an, aber anstatt schwächer zu werden wuchs meine Angst.

 
Während meine Gefühle zu einem Sturm heranwuchsen, hatte ich eine Vision. Ich sah einen großen See, an dessen Ufer eine wunderschöne violette Glockenblume durch die Erde brach und zu blühen begann. Wie in einem Zeitraffer begannen die Jahreszeiten vorbeizuziehen. Die Glockenblume welkte und verging und als die Zeit reif war, wurde sie strahlend wiedergeboren. Aus ihren Samen waren andere Glockenblumen erwachsen, die rings um sie wuchsen und sich gemeinsam mit anderen Blumen und Heilkräutern im sanften Wind wiegten. 
 
Ich verstand nicht, aber ich baute weiter gemeinsam mit den anderen Wesen, bis wir eine neue Wohnstatt für den Berggeist und seine Familie erschaffen hatten. Ich spürte die Trauer des Wiesengeistes, wandte mich ihm zu und sagte, „Bitte nimm den Samen, den du mir zur Heilung schenken willst, und pflanze ihn in Mutter Erde ein. Er ist ein Geschenk für alle, jedes einzelne Wesen der Schöpfung, und nur, weil ich verletzt worden bin und Furcht empfinde, wenn mir jemand Liebe schenken möchte, soll er der Welt nicht vorenthalten werden. Nein, er soll wachsen, denn er ist ein Geschenk an die Welt. Ich möchte dich nicht verletzen und schon gar nicht deiner Gabe Respektlosigkeit entgegenbringen. In mir ist Schmerz noch immer tief verwurzelt. Bitte pflanze den Samen in der Welt ein, so dass daraus eine Gabe der Heilung für alle erwächst, sie die Jahreszeiten erlebt und erfährt, wächst und gedeiht, genesen kann und heilt. Deine Gabe wird auf ihrem Weg zu mir finden, genau zu der Zeit, zu der es auf dem Pfad, den ich beschreite, richtig ist. Bis es soweit ist, lass sie für alle sichtbar werden und scheinen, halte sie nicht verborgen, nur weil ich im Augenblick blind dafür bin. Sie gehört mir nicht allein und ist nicht die meine verborgen zu halten in der Nacht, durch die ich wandle. Diese Gabe ist eine Gabe für alle.“ Der Same in den Händen des Wiesengeistes erstrahlte in reinem Licht und wuchs zu einer Glockenblume aus Licht heran. Tiefer Frieden füllte mein Herz, als der Wiesengeist die Blume sanft in Mutter Erde pflanzte. 
 
Mit einem Male verwandelte sich mein Körper in fruchtbare Erde und ein Samen begann, Wurzeln zu schlagen. Ein Same, der aufblühen wird, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Ein Same genährt mit Geduld und Liebe.
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Die Krone

2/28/2025

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Eine meiner ersten Reisen in die Anderswelt führte mich in eine Wüste. Ich war dem Ruf eines Geiers gefolgt und wanderte durch die Dünen. Die Sonne stand hoch am Himmel, der sich strahlend blau über die Sandlandschaft erstreckte. Nach einer Weile gelangte ich zu einem Grabmal. Es wirkte wie eine alte Tempelstätte, einige der Säulen waren umgestürzt und die Stufen, die zum Eingang hinaufführten, waren ausgetreten. Jemand wartete am Eingang auf mich. Ich erklomm die Stufen und stand einem alten König gegenüber. Er trug eine Krone, die stumpf und glanzlos wirkte, seine Haut war trockenes Pergament, sein Fleisch ausgedörrt und ich konnte dort, wo seine ausgetrockneten Muskeln gerissen waren, vergilbte Knochen sehen. Als ich hinspürte, nahm ich keine Dunkelheit wahr, sondern tiefe Müdigkeit.
 
„Folge mir.“ Er betrat das Grabmal und ich folgte ihm. Er führte mich in einen Raum, in dem abertausende Kronen lagen. Manche aus Gold, geschmückt mit Smaragden und Rubinen, andere aus Silber, wiederum andere aus Metallen und Materialen, die ich weder jemals zuvor gesehen noch jemals zuvor gespürt hatte. 

„Nimm dir eine der Kronen.“ Ich weigerte mich. „Nimm eine. Sie gehört dir.“ „Nein, zu keinem Zeitpunkt.“ Er blickte mich streng an und befahl: „Nimm eine Krone! Wähle eine, die dir zusagt. Sie gehört dir.“ „Nein, ich werde keine der Kronen in meinen Besitz nehmen. Sie gehören anderen und sind Zeichen ihrer Verdienste und Errungenschaften. Ich werde die Verdienste und Leistungen anderer nicht zu meinen eigenen machen und so tun, als ob ich es wäre, die die Krone derjenigen verdient am Haupte trägt. Wenn überhaupt, so werde ich die Kronen betrachten und von jenen lernen, die die Kronen als Zeichen der Ehre und Wertschätzung erhalten haben, als sie den ihnen anvertrauten als Anführer gedient haben. Aber niemals werde ich die Krone eines anderen zu der meinen machen!“ Ich begann zornig zu werden und meine Wut begann den Raum auszufüllen. Der alte König blickte mir kerzengerade in die Augen und sagte: „Nimm eine der Kronen.“ Ich starrte zurück und erwiderte: „Ich trage bereits eine Krone. Ich werde keines anderen Krone an mich nehmen. Ich habe meine eigene. Sie ist in mir.“ Kaum hatte ich ausgesprochen, so begann ein hölzerner Stirnreif aus meinem Körper zu wachsen. Er legte sich um mein Haupt. Der Reif war wunderschön. Ich wusste und spürte, dass er aus Holz war, aber ich hatte diese Art von Holz noch nie gesehen und auch seine Energie zuvor noch nicht gefühlt. Sie fühlte sich warm und lebendig an. Der Stirnreif war bar jeder Zier, aber in meinen Augen war er der schönste, den ich jemals gesehen hatte. Der alte König blickte mich an und lächelte. Dann verließen wir das Grabmal und nahmen voneinander Abschied.
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"White Bearded Vulture", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Dann begannen auf unserer Ebene des Seins Dinge zu geschehen und ich wurde in Dunkelheit geworfen. Ich hatte die Idee zu einem Projekt gehabt und mit anderen gemeinsam das Projekt ausgearbeitet, nur um dann zu erleben, wie sich andere das von uns Erarbeitete aneigneten und behaupteten, es wäre ihr Werk gewesen. Ich folgte allerdings meinem Weg weiter und zeigte auf, wer tatsächlich gearbeitet und mitgewirkt und wer in Wahrheit keinen Finger gerührt hatte. 

Ich hatte auf meinem Weg ein großes Geschenk erhalten und durfte meinen Schatten begegnen, mich ihnen stellen und entscheiden, ob ich meinem alten Weg weiter folgen oder einen neuen Weg beschreiten wollte. 


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"White Vulture", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
„Nimm eine Krone.“ „Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich mir nicht nehmen werde, was einem anderen gehört.“ „Nimm eine Krone.“ Mein Zorn wurde zu einem rasenden Feuer, aber ich hielt mich im Zaum. Dann erfüllte mich mit einem Mal absolute Ruhe. Ich sah ihm direkt in die Augen. „Ich brauche die Krone eines anderen nicht. Ich bin genug.“ 

Mitten im Chaos wurde ich abermals in die Wüste hinter den Schleiern gerufen. ​​

​Ich reiste wieder durch die Wüste in die Anderswelt. Ein einzelner Geier kreiste am strahlend blauen Himmel. Nach einer Weile stand ich abermals vor dem Grabmal, das ich auf meiner ersten Reise in die Wüste betreten hatte. Es wirkte noch älter als damals. 

Der alte König erwartete mich am Eingang.  Wir begrüßten einander und ich folgte ihm in die Grabstätte. Er führte mich abermals in den kronengefüllten Raum. Ich sah ihn and spürte, wie Zorn langsam in mir hochzusteigen begann. 
„Nimm eine Krone.“ „Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich mir nicht nehmen werde, was einem anderen gehört.“ „Nimm eine Krone.“ Mein Zorn wurde zu einem rasenden Feuer, aber ich hielt mich im Zaum. Dann erfüllte mich mit einem Mal absolute Ruhe. Ich sah ihm direkt in die Augen. „Ich brauche die Krone eines anderen nicht. Ich bin genug.“ Die Augen des alten Königs leuchteten auf und er begann zu lächeln. In seinen Händen wuchs aus dem Nichts ein grüner Kristall.

​Die Energie, die er ausstrahlte, war warm. Ich hatte noch nie zuvor solch einen Kristall gesehen. Er bettete den Kristall in meiner Stirn ein und wir wurden eins. „Das ist ein Geschenk, eine Gabe für dich. Du bist jetzt noch nicht im Stande dazu, zu wissen und zu begreifen, was es bedeutet und warum sie dir gegeben worden ist. Du wirst verstehen, wenn es dazu Zeit ist.“ Ich dankte ihm und ein Lächeln huschte über meine Lippen. „Komm.“ 

Wir verließen die Grabstätte und als wir die Stufen erreicht hatten, die in die Wüste hinausführten, wandte er sich noch einmal zu mir um. Seine Gestalt begann sich zu verändern. Leben floss zurück in seinen Körper, wo seine Haut und sein Fleisch ausgedörrt und zerrissen gewesen waren, begann es zu gesunden und zu heilen. Seine Gewandung nahm wieder Farbe an und aus den Fetzen wurde eine Robe. Die Wüstensonne ließ seine Krone in neuem Glanz erstrahlen. Er lächelte mir zu, dann legte er seine Hände auf meine Schultern. Nach einer Weile ging ich in die Wüste davon.
​

Jeder einzelne von uns ist einzigartig, ein wunderschönes Geschenk und eine blühende Blume, die Heilung und Weisheit in sich trägt. Wir alle besitzen eine Krone. Wir alle sind damit geboren worden. Wir tragen sie bereits in uns. Es ist nicht notwendig, anderen etwas wegzunehmen und so zu tun, als wären ihre Verdienste und Leistungen unsere eigenen.
 
In dir, deinem Herzen, deiner Seele, deinem Verstand und deinem Geist schlummern unglaubliche Talente und Gaben. Lerne von anderen, sei offen für ihre Weisheit, beobachte mit wachen Augen, höre mit offenen Ohren zu, öffne dein Herz für ihre Zeremonien, aber habe den Mut, du selbst zu sein. Trag deine eigene Krone voller Stolz. 

​Du bist genug.  
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    Autorin

    Kristin Raphaela Otti
    ​
    Ich bin eine Schamanin und Geschichtenerzählerin aus dem Lavanttal in Kärnten. 

    Ich hüte das Winterfeuer in den Herzen und begleite jene, die sich auf eine Reise tief in ihr Innerstes aufmachen wollen. 

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